Beelitz-Heilstätten – Vergangenheit und Zukunft
1898 legte die Landesversicherungsanstalt Berlin den Grundstein für eine Lungenheilstätte am Rande Berlins. Innerhalb von 30 Jahren schufen Architekten und Baumeister auf einem ca. 200 Hektar großen Gelände ein Ensemble, das weit über die Grenzen Deutschlands Anerkennung fand und findet. Heute stehen noch über 60 denkmalgeschützte Gebäude, die zwei Weltkriegen standhielten und auch während der Nutzung als
Militärlazarett der sowjetischen Streitkräfte und in den Jahren danach nichts von ihrer einstigen Ausstrahlungskraft verloren haben. 1898 bis 1902 begann die Errichtung dieser medizinischen, sozialen und architektonischen Mustereinrichtung. Die Baumeister entwickelten in den Gebäuden technische und architektonische Höchstleistungen, die mit ihrem einzigartigen Charme das 19. Jahrhundert repräsentieren.
Wir betrachten mit Staunen die durchdachte Raumordnung und Funktionalität des Gesamtareals und einzelner Gebäude, die geordnete und optimierte Infrastruktur, deren Krönung das bis vor wenigen Jahren noch in Funktion stehende Heizkraftwerk darstellt, das von den damaligen Investoren zu einem der wirtschaftlichsten Kraftwerke Deutschlands ausgebaut wurde. Die optimierte Infrastruktur ist auf der einen Seite der erforderlichen vollständigen Eigenversorgung geschuldet, auf der anderen Seite stachelte gerade diese Herausforderung die Erbauer an, das technisch Machbare und vielleicht auch mit Blick in die Zukunft ein bisschen mehr zu tun.
Der Landkreis Potsdam-Mittelmark, die Stadt Beelitz und der Förderverein Heiz-Kraft-Werk Beelitz-Heilstätten e.V. versuchen, das größte Flächendenkmal Brandenburgs als Gesamtensemble vor dem Verfall zu retten und wiederzubeleben. Mit den folgenden Ausführungen wollen wir Sie neugierig machen. Mehr Interessierte sollen sich an dem Ensemble erfreuen und sich für den Erhalt des Gesamtareals engagieren. Die sanierten und modernisierten Bestandsgebäude überzeugen durch ihre Einzigartigkeit. Die zwischen 1898 und 1930 von der Landesversicherungsanstalt Berlin errichteten Lungenheilstätten und Sanatorien liegen inmitten des Beelitzer Stadtwaldes. Die Heilstätten sind einer der größten Krankenhauskomplexe im Berliner Umland und waren für die damalige Zeit in der Planung und baulichen Ausführung beispielgebend. Neben der sehr guten Anbindung an Berlin und an das Potsdamer Umland bot eine Einrichtung in einem ausgedehnten Waldgebiet die notwendigen klimatischen Voraussetzungen für die Versorgung der Patienten: ruhig und windgeschützt in einer rauch- und staubfreien Umgebung.
Die Musteranlage Beelitz-Heilstätten dokumentiert die Anforderungen an den Bau spezieller Heilstätten. Die Kranken lagen in Zimmern, die sämtlich nach Süden ausgerichtet waren, und konnten auf Baikonen die frische Luft in Ruhe wirken lassen. Breite Flure waren als Kommunikationsorte für die Genesung wichtig, konnten doch so die sozialen Kontakte erhalten werden. Die Therapieräume für Inhalationen und physikalische Anwendungen sowie die Diensträume für Ärzte und Schwestern lagen in den Nordbereichen der großzügigen Bauten. Eisenbahn und Landstraße teilen das Areal in etwa vier gleich große Bereiche, die die Nutzungskonzeption wesentlich bestimmen. Die beiden Bereiche nördlich der Eisenbahn wurden für die Errichtung der Lungenheilstätten vorgesehen, die südlichen Bereiche dienten als Sanatorien der Behandlung nicht ansteckender Krankheiten, wie beispielsweise Verdauungs-, Stoffwechsel- oder Herzkrankheiten.
Die Anlage war auf die strikte Trennung der Geschlechter ausgerichtet. Die Straße teilte die Gesamtanlage in Frauen- und Männerabteilungen: Westlich der Landstraße lagen die Frauen-Lungenheilstätten und das Frauen-Sanatorium, östlich der Landstraße die Männer-Lungenheilstätten und das Männer-Sanatorium. Gebäude, in denen hauptsächlich Frauen beschäftigt waren, wie die Waschhäuser und die Küchengebäude, waren in den Klinikbereichen für weibliche Patienten angeordnet, die Gebäude mit überwiegend männlichen Beschäftigten, wie z.B. die Werkstätten, der Fuhrpark oder das Heizhaus, lagen in den Männerbereichen. Einzige Ausnahmen bildeten die Kirche (nicht mehr vorhanden) und das zentrale Badehaus. In Beelitz-Heilstätten entstanden die Grundzüge der Arbeitstherapie, die in langen Erkrankungs- und Rehabilitationszeiten eine wichtige Rolle spielt.
Die zunächst auf 600 Betten ausgelegte Anlage war mit ihren Versorgungs- und Nebengebäuden von Beginn an für eine bis zu dreifache Patientenzahl dimensioniert. Bauliches Kennzeichen der Anlage ist noch heute die exakte Anordnung der Krankenpavillons in West-Ost-Richtung, sodass auf einer Gebäudeseite die Patientenzimmer, die Liegehallen und Terrassen für eine intensive Licht- und Sonneneinstrahlung direkt nach Süden ausgerichtet waren. Die Räumlichkeiten waren modern und zweckmäßig eingerichtet. In den Außenanlagen waren die Liegehallen und die sogenannten Luftbäder sowie weitläufige Spazierwege in dem mit Laubbäumen unterpflanzten und gärtnerisch gestalteten Kiefernwald dominant.
Die Beelitzer Heilstätten waren durch ihre Größe und separierte Lage auf eine selbstständige Versorgung und Infrastruktur angewiesen. Bis 1908 entstanden neben den Krankenpavillons Wohnhäuser für Arzte, Beamte und Angestellte sowie zusätzliche Wirtschaftsgebäude. Das Klinikgelände verfügte zu diesem Zeitpunkt u.a. über ein Postamt, ein Hotel und Restaurant, eine Gärtnerei, Stallungen, Werkstätten, zwei Küchen, zwei Waschküchen sowie eine eigene Bäckerei und eine Fleischerei. Dort wurden zum Beispiel im Laufe des Jahres 1926 über 30.000 Brote und mehr als 1 Million Semmeln gebacken und wöchentlich ca. 25 Schweine und 5 Rinder aus einer eigenen Mast geschlachtet. Außerhalb des Gebietes wurden 1918 die Landwirtschaftsgüter „Breite“ und „Blankensee“ erworben, sodass sich die Heilstätten mit vielen Nahrungsmitteln selbstständig versorgen konnten.
Noch heute vermittelt die Gesamtanlage, mit welchem sozialen Engagement und hohem medizinischem Aufwand gegen die Tuberkulose als die verheerende Krankheit am Ende des 19. Jahrhunderts vorgegangen wurde. Die Zahl der an Schwindsucht Erkrankten ging in Deutschland zur Jahrhundertwende in die Millionen. Besonders betroffen waren die minderbemittelten Arbeiter und Tagelöhner der industrialisierten Gesellschaft. Überbevölkerung und Überbelegung in den Mietskasernen und Hinterhöfen Berlins, katastrophale hygienische Bedingungen, fehlende gesundheitliche Vorsorge, Mangelernährung und schwere körperliche Arbeit waren die Hauptursachen der immer stärker um sich greifenden Volksseuche Lungentuberkulose (TBC). Allein im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts war jeder dritte Todesfall und jede zweite Arbeitsunfähigkeit auf Tuberkulose zurückzuführen.
Sehen Sie hier Fotoimpressionen im Rahmen eines „Mottenausflugs„: