Erfindungen und das Interesse an ihrem Rechtsschutz (Patente) sind für Fortschritt und Innovation von großer Bedeutung.
Patente sind rechtlich geschützte Erfindungen, die aktuell bei Erteilung 20 Jahre lang nach dem Anmeldetag nicht einfach von jedem nachgebaut und verkauft werden dürfen. Die so vor dem Kopieren geschützte Erfindung ist immer auf technischem Gebiet, gewerblich anwendbar und stellt aufgrund der innovativen Idee eine nicht durch Fachwissen mögliche (nahe gelegte) Lösung eines technischen Problems dar. Die Erteilung kann auch nur dann erfolgen, wenn die Idee nicht bereits vor dem Anmeldetag veröffentlicht war.
Das zu seiner Zeit modernste Kraftwerk Deutschlands in den Beelitzer Heilstätten mit Kraft-Wärme-Kopplung dürfte somit eine Fundgrube für die Anwendung von technischen Erfindungen sein – zumal zu der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts unter anderem im Bereich der elektrischen Energie- und Umwandlungstechnik (elektrische Maschinen, Stromübertragung) rege Erfindertätigkeit stattfand. Grundlegend für den Fortschritt war aber zuerst die Erfindung der Dampfmaschine, für die in den Folgejahrzehnten zahlreiche Verbesserungen vorangetrieben wurden.
In der Regel sind Patente nicht immer als solche in ihrer Anwendung am Objekt gekennzeichnet. Weder in Plänen noch auf den Komponenten selbst finden sich (auffällige) Hinweise. Betritt man aber den Maschinensaal unseres Kraftwerks, erregt (zumindest für den Patentprüfer) ein sogar sehr großes Schild Aufmerksamkeit: „Schieber-Steuerung Patent Hochwald“ (Bild 1). Offenbar befindet sich hinter dem Gehäuse eine damals zeitgenössische (patentierte!) Innovation auf dem Gebiet der Dampfmaschine und ihren Anbauteilen. Das so beschilderte Gehäuse befindet sich jeweils an der Dampfmaschine bei den Gleichstromgeneratoren (Bild 2).
Die zugehörige Patentschrift zu dieser Schiebersteuerung ist leicht über den Namen des Anmelders Moritz Hochwald aus Berlin zu ermitteln. Es handelt sich um das Patent mit der Nummer 270382, inzwischen eingereiht als Druckschrift DE 270 382 A (Bild 3) mit dem Titel: „Kolbenschieber für Dampfmaschine mit innerer Einströmung und mehrfacher durch eine Kammer vermittelter Einströmöffnungen“. Nach der Erteilung am 24. Juni 1908 folgte mit der Patentsc
hrift Nr. 277661 (DE 277 661 A) ein Zusatz zu vorhergenanntem Patent, interessanterweise unter anderem auch für die Anwendung in Dampflokomotiven gedacht, mit dem Titel „Kolbenschiebersteuerung für Dampfmaschinen, insbesondere für Lokomotiven, mit einer Kompressionskammer im Schieber, die zu Ende der Kompression und zu Beginn der Expansion Verbindung mit dem Zylinderkanal erhält“ (patentiert vom 14. Dezember 1911 an bis längstens 23. Juni 1923).
Da eine zum Patent angemeldete Erfindung selbst weit vor ihrer Veröffentlichung, sowie ihrer Patenterteilung existiert (und gegebenenfalls bereits verbaut wird), passen die Gegenstände beider Druckschriften genau in die Zeit der Anfänge der Heilstätten. Interessant wäre noch, inwieweit zur Optimierung der Anlage nach der Inbetriebnahme in den Folgejahren kleinere, eventuell ebenfalls patentierte Nachrüstungen stattgefunden haben.
Ein Kolbenschieber dient allgemein der Steuerung des Durchflusses eines Mediums, welches gasförmig, flüssig oder dampfförmig sein kann. Dabei spielt bei der Nutzung der Dampfmaschine der Wechsel von Kompression und Expansion eine zentrale Rolle. Der Schieber besitzt einen in der Regel weitestgehend zylindrischen Raum, in dem ein verschiebbarer Kolben je nach Stellung Durchflussöffnungen (Kanäle) freigibt.
Je nach Ausbildung und Lage der Räume und der Kolben können ungünstige Stellungen entstehen, die z.B. eine nicht ausreichende Abdichtung gegenüber dem jeweils anderen Raum oder für einen Moment eine fehlende Verbindung zu Kanälen verursachen, durch die wertvolle Arbeit nicht genutzt werden kann. Dadurch entstehen unerwünschte Verluste. Bereits damals erkannte man solche Nachteile und den Bedarf, Komponenten zu verbessern und zu optimieren, um Verluste zu reduzieren. Hier setzt das Beispiel der genannten Erfindung an.
Bild 4 zeigt mit Fig. 1 aus der Patentschrift DE 270 382 A einen Längsschnitt des neuen Schiebers in seiner einfachsten Form. Eine für den Laien nicht ganz selbsterklärende Figur, da sich die Patentschrift an den sogenannten Fachmann wendet, der in diesem Falle ein „Fachmann für Dampfmaschinen“ ist.
Gezeigt sind bei C ober- und unterhalb des gestrichelt gekennzeichneten geraden Zylinders die Frischdampfräume für den Arbeitsdampf, mit deren in den Zylinder reichenden Kanälen B. K bezeichnet die Schieberkammer des Kolbens oder Schieberkörpers (dichter gestrichelt dargestellt), die nach Einlass des Dampfes diesen durch den Zylinder leitet. Über die sogenannte Schiebermuschel D, eine Wölbung im Schieberkörper, kann die Ein- und Ausströmung zwischen den Kanälen A, A1 und B reguliert werden.
Die Innovation der Erfindungen liegt vereinfacht zusammengefasst darin (Bild 4 betrachten), dass über die Ausnehmung E in der Innenwand des Zylinders („Schieberspiegel“), jeweils rechts und links von dem Kanal B gelegen, bei Verschieben des Schieberkörpers in Zusammenarbeit mit der Schiebermuschel D, die Fläche zur Einströmung verdoppelt werden kann, da der Dampf nicht nur über den frei gegebenen Kanal B durch die Schieberkammer, sondern zusätzlich auch über die Fläche der Ausnehmung E fließen kann. Diese Konstruktion war zum Zeitpunkt der Erfindung bereits bekannt („Muschelschieber“) und wird nun zur besseren Nutzung dieser Strömungsverdoppelung weiter optimiert.
So spielt die Dimensionierung der Auflageflächen der dichtenden Kanten am Schieberkanal und an der Schiebermuschel eine Rolle, da hierdurch der Zeitpunkt der Freigabe der Kanäle und die Verbindung der Räume gesteuert werden. Die Auflagefläche wird in der Patentschrift „Deckung“ genannt.
Betrachtet man Bild 4, ist die Deckung der Kanten 9 und 10 (außen am Schieberkanal K liegend) des Schieberkörpers wesentlich kleiner gehalten, als die Deckung der Kanten 2 (schlecht lesbar) und 6 der Schiebermuschel (Breite der Auflageflächen vergleichen). Damit öffnet der Zylinderkanal K den Kanal A, bevor die Einströmung über die Schiebermuschel bei Kanal B beginnen kann. Damit ist gewährleistet, dass der eingeleitete Frischdampf vollständig für die Kompression erhalten bleibt und nicht vorher bereits teilweise entweichen kann.
Eine derartige Detail-Ausbildung dürfte sich also in dem Schieber hinter dem Gehäuse mit dem auffälligen Schild über den Gleichstromgeneratoren befinden.
Der Zusatz (DE 277 661 A) zu dieser Patentschrift verwendet die gleiche Grundkonstruktion, allerdings für einen Schieber mit äußerer Einströmung. Bei diesem Schieber sind Einströmöffnung und Ausströmöffnung vertauscht.
Die durch die vorgeschlagene Lösung erreichten verminderten Arbeitsverluste sowie der ruhigere Lauf des Kolbens begründet für den Zusatz zum Patent auch die bevorzugte Anwendung in den Dampflokomotiven.
Das Beispiel des patentierten Schiebers ist einer von vielen Belegen, wie innovativ das Heizkraftwerk war und wie rege damalige Ingenieure erfolgreiche Problemlösungen gefunden haben.
Insbesondere bei der Betrachtung von Erfindungen zeigt sich immer wieder, dass auch der heutige Fortschritt nur mit den damaligen Innovationen überhaupt möglich ist.
Stefanie Gottstein
(Fotos: Stefanie Gottstein, Titelfoto: Gleichstromgeneratoren)
Legende zu Bild 4:
A, A1, B: Ein- und Ausströmkanäle
C: Frischdampfräume
D: Schiebermuschel
E: Ausnehmung (Vergrößerung der Strömungsfläche für den Dampf)
K: Schieberkammer
2, 6: Kanten (Dichtung) an der Schiebermuschel
9, 10: Kanten (Dichtung) am Schieberkörper (Kolben)